text-auszüge

renée pötzscher

Ortrud Westheider
"In Renée Pötzschers Werk spielt ein außergewöhnliches Experiment eine zentrale Rolle. In sogenannten Mondbelichtungen, bei denen sie im Schein des Mondes ihre Photopapiere auslegt und belichten lässt, schuf sie eine neue photographische Ausdrucksform…. Die Vergrößerung ermöglicht es ihr im Nachhinein … den Bildraum zu erweitern und eine Entsprechung zum Himmelsraum zu finden, vor dem die Form als kosmische Lichtquelle wahrgenommen wird…. So entwickelte Pötzscher lange vor den eigentlichen Mondbelichtungen eine Bildwelt, die an nächtliche Landschaften und astronomische Beobachtungen erinnert….
ihre Affinität zur romantischen Nachtaktivität fand zum erstmal im April 1997 in der Aktion Himmel auf Erden im Hamburg-Bergedorfer Wald ihren künstlerischen Ausdruck. Hier legte sie Ausrisse von Photopapieren auf den Erdboden und verwob sie mit den Zweigen,die dort lagen. Geleitet von dem Kalkül eines Zusammenspiels mit der Natur ließ sie Kombinationen von mondgenerierten Photogrammen der Zweige entstehen. In einem zweiten Arbeitsschritt photographierte sie die Ausrisse und brachte sie in ein Querformat 100x200cm, dessen panoramatische Weite Landschaft assoziiert.
Es folgen die Mondbelichtungen, die sie Lunagramme nennt, aus ihrer Zeit in der Trittauer Wassermühle. Hier breitet sie die Papiere auf dem Boden ihres Ateliers aus, so daß sie das Licht des Mondes auffangen können. Nur ein Fensterkreuz hindert die eindringende Helligkeit. Sein Schatten zeichnet sich nach der Entwicklung als weißer, diagonal verlaufender Lichtstrahl ab. Renée Pötzscher hat den Entwickler bei dieser Serie mit dem Schwamm aufgetragen. Sie arbeitet dabei ins Schwarze hinein. Schlieren und Fließspuren geben dem vom Mondlicht geschwärzten Zonen eine Malerische Anmutung und Dynamik, die mit dem Tanz zusammengeht, der diese Aktion begleitet hat….Umkehrungen sind die Alchemie ihrer Kunst - aus Licht wird Farbe,aus Weiß wird schwarz, Schwarzweißes wird bunt, aus klein wird groß,aus Lampenlicht wird Mondlicht…. Sie sucht Landschaftliches wie Übersinnliches einzufangen,um es zurückzubinden an die menschliche Psyche und schließlich auch an den Körper. Renée Pötzschers Weg von den Mondbelichtungen in der Landschaft zurück ins Innere des Ateliers folgt dieser Spur. In ihrer 1998 entstandenen Serie Feldstärke I-VII richtet sie im vom Mond beschienenen Innenraum eine Kamera auf ein nächtliches Lager. Das lange geöffnete Objektiv nimmt die Bewegungen der darauf liegenden Körper und das über den Boden wandernde Mondlicht auf, gleich einem Film, der angehalten weiterläuft. Darin schafft sie eindringliche Metaphern für die Nacht als Sphäre von Erotik, Schlaf und Traum… im Vergleich zu den neosachlichen Positionen der zeitgenössischen Photographie ist für Renée Pötzscher die Photographie selbst das Reale, nicht das vordergründige Motiv."
Ortrud Westheider
Johannes Spallek
"Nicht das bloße Abbild von Wirklichkeit ist es, was Renée Pötzscher fesselt,sondern das, was es auslöst an Visionen,an Gefühlen,an Gedanken und an Träumen… des innersten Seins…. Der prozessuale Anteil ist Renée Pötzscher sehr wichtig. Die Werke lassen den Mond leibhaftig werden. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes Lunagramme. Es sind Erträge eines dauernden Wahrnehmungs- und Schaffensprozesses von genau geplanten Aktionen, entstanden aus einer tiefen Verbundenheit mit der Natur, und abhängig von den Mondphasen und den Wetterbedingungen…. Die Papierbahnen, die ähnlich wie große Antennenanlagen auf dem Erdboden ausgebreitet und auf Empfang von Strahlen gerichtet sind, sind für sich zeitlich begrenzte skulpturale Arbeiten.
Aufgrund der langen Belichtung ergeben sich weiche Übergänge, während der Aktion in der Trittauer Wassermühle bewegt sich Renée Pötzscher durch und über das positive Material,sie tanzt, mit ihrem Leib setzt sie sich ebenso wie das Photomaterial den Mondlichtstrahlen aus, sie empfängt sie ebenso. Obwohl sie körperlich anwesend ist, wird dies nur transitorisch in den Lunagrammen faßbar. Die Körperliche Stofflichkeit entfernt sich, die Konturen verschwinden, ihr Körper scheint durchsichtig und in eine andere Materie überzugehen… bei den Lunagraphien Feldstärke I-VII… geht es auch um Zeitabläufe und Bewegungen… Renée Pötzscher summiert Zeitabläufe und komprimiert so eine Essenz aus Zeit und Raum. Die Bewegungsunschärfen lösen die Körper auf und lassen sie in eine andere Stofflichkeit übergehen. Sie strahlen ähnlich wie Tageslicht, Wärme und Energie aus. Demgegenüber bleibt der Stoff, beispielsweise eines Kissens oder einer Decke, aufgrund der statischen Unbeweglichkeit in magischer Deutlichkeit erhalten. Es entsteht ein Paradoxum: Die Unschärfe verweist und enthüllt Wesentliches, während die Bildschärfe lediglich Stoff wiedergibt."
Johannes Spallek

Selbstbildnis als Photographin - das immanente filmische Empfinden

"Renée Pötzscher hat die Spiegelung no on aufklappbar - ähnlich wie ein Wandelaltar - konzipiert, dessen Außenseiten das innere Hauptbild schützend umgeben. Öffnet man das Spiegelbild no on, folgt das Selbstbildnis der Photographin. Mit weiten Augen blickt sie uns en face direkt an, die Kamera auslösebereit zum Kinn angehoben... Ihr konzentrierter Blick richtet sich nur scheinbar auf den Betrachter - tatsächlich richtet er sich auf sie selbst. Das Selbstbildnis ist eine Spiegelphotographie... Die unübersehbar ins Bild gerückte Photokamera (Nikon F) weist darauf ebenso wie der Zeigefinger auf dem Auslöser und der deutliche bildkompositorische Bezug von wahrnehmenden Auge und Realität wiederspiegelnder Kameraoptik... Die Optik der Kamera wird zum "zweiten" Auge, das aufnimmt, was R.P. s Vorstellungskraft in Kopf und Geist vorgeformt und vorhergesehen hat.
Das Selbstbildnis entstand im Jahre 1972 - R.P. machte es an einem entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens zu Anfang des Studiums... Rückblickend wirkt es wie ein künstlerisches Programm... eine Photokünstlerin, die sich dem eigenen objektivierenden sowie dem fremden kunstkritischen Blick aussetzt."
Johannes Spallek
Sigrid Puntigam
"Das seltene astronomische Schauspiel "Venustransit"… wurde am 8.Juni 2004 von der Künstlerin in der Sternwarte Hamburg-Bergedorf aufgenommen… Sie nahm es zum Anlass,… ausgehend von der Planetengöttin Venus und über die mythologische Gestalt der Venus …mit der Fotografie und Videokunst sich mit der weiblichen Identität, dem eigenen Körper,dem Bild und Abbild des Weiblichen und der Selbst-Inszenierung auseinanderzusetzen…In der Arbeit voll Mond empfangen greift sie den alten Bildtypus des Triptychons,die Form des mittelalterlichen Wandelaltares auf und impliziert damit auch seine Bedeutung. Seine Außenseite präsentiert im geschlossenen Zustand jedoch nicht mehr das christliche Heilsgeschehen, sondern provokant einen weiblichen Akt, den mondbeschienenen weiblichen Körper in seiner Schönheit. Im geöffneten Zustand ist in schockierender Direktheit in der Mitteltafel,an prominentester Stelle, die Kehrseite gezeigt: eine Ultraschallaufnahme des weiblichen Unterleibes mit Uterus ersetzt die ursprüngliche Darstellung der christlichen Verkündigung. An den Seitenflügeln prangen lichtdurchwobene, abstrakte, rote, fleischliche Anmutungen. Nicht mehr das christliche Heilsgeschehen oder eine Göttin werden zitiert, sondern der Mythos entmythologisiert, profanisiert und durch die liegende Nackte an der Außenseite in die Gegenwart versetzt… sie setzt die Form des Triptychons gekonnt ein und nutzt das Spiel von Enthüllen und Verhüllen, Öffnen und Schließen für ihre Thematik.

Für eine Serie von Portraits , das sitzende weibliche Halbfigurenbildnis im Innenraum, ist das Vorbild im Madonnen Typus der Renaissance, der auch als Prototypus für das weibliche Portrait gilt, zu sehen… Der Kopf und der Oberkörper werden durch die Lichtregie, die Bewegung und die Mittelachse betont, das Profil trägt androgyne Züge. Das Bedeutungslicht, die Farbigkeit und Lichtführung erinnern an die Malkunst Rembrandts. Auf Hals und Kopf liegt eine Landsschaftseinspiegelung mit Fensterkreuz. In der Serie dieser Portraits wird das Verhältnis Mensch und Natur, Innenraum und Außenraum reflektiert. So führt die Verschleierung des Blicks schießlich zum Verschließen, Verblenden, zum Verschwinden des Sehens… Ehe schließlich das Individuum gänzlich zurück tritt, als Teil der Natur gezeigt wird und in ihr aufzugehen scheint."
Sigrid Puntigam
Jens E. Sennewald
"Die Künstlerin Renée Pötzscher läßt mit den Mitteln der Photographie Licht-Zeichen entstehen. Eine eigene Sprache des Lichts,die Assoziationen der Bedrohung freisetzt, wie sie das Licht sonst nicht auszulösen scheint.
Gibt das Licht in den Photographien den Körpern den Umriss, die Gestalt, so wird es in den ebenfalls ausgestellten Photogrammen zur Bedrohung, zum Schatten. Denn in der direkten Belichtung des Photopapiers, vor das Renée Pötzscher ihren eigenen Körper stellt, wird all das, auf das Licht trifft, schwarz. Durch Mehrfachbelichtung scheint sich der Körper unter der peinigenden Kraft des Lichtes zu winden, zeichnet weiße Schatten auf das Papier. Und diese Schatten legen bei den Betrachtenden die Schichten der Geschichte frei. Erinnert wird man an Aufnahmen von Hiroshima nach dem Atombombenabwurf: auf die vom Lichtblitz geschwärzten Häuserwände hatten sich die Körper der Überraschten, längst Verdampften als weiße Schatten abgebildet ….. Spuren, Zeichen, die das Abwesende Anwesend sein lassen. Untilgbare Schatten, die vom Licht als Mord erzählen, die den engen Zusammenhang von Lichtbild und Krieg dokumentieren. Diese Erinnerungen,ruft R.P. mit ihren Forschungen, ihrer Lichtarchäologie wach. Erinnerungen, die die Metapher des Lichts als Erkenntnis umkehren. Die Schatten als Lichtzeichen formulieren Erinnerungen - wie die Buchstaben, die das weiße Papier der Geschichtsbücher schwärzen, so zeichnet das Licht seine Spuren in das Photopapier.
In der Betrachtung der Arbeiten wird der lichtsuchende Blick nach Innen gewendet,in das Dunkel der Erinnerungen, in denen die weißen Schatten des Vergessens gerade das Vergessene dauern präsent halten."

Indem sie Photographien auf großformatige Folien aufbringt, vollzieht die Künstlerin zwei Bewegungen: aus der Zweidimensionalität des Photopapiers zurück in eine fast sklulpturale Räumlichkeit der photographierten Körper einerseits. Andererseits eine Bewegung in die Tiefe. Mit der Kamera und dem Licht scheint Pötzscher die Tiefenstrukturen der photographierten Gegenstände und Körper auszuforschen. Eine Forschung, Licht-Archäologie, die sowohl die Schichtungen der Körper sichtbar macht, als auch in die Geschichte weist die in den Arbeiten Renée Pötzschers vollzogen wird, es ist eine Bewegung von innen nach außen - und zurück."
Jens E. Sennewald